Herbstexkursion 2016: Natur und Kultur Langenthal / St. Urban
Samstag, 24. September 2016
(pku) Die diesjährige Exkursion vom 24. September führte uns in den Oberaargau und war dem Themenkreis Kultur und Natur gewidmet. Beide Themen scheinen auf den ersten Blick völlig unterschiedlich zu sein, haben aber - wie wir später erfahren werden - enge Berührungspunkte.Wir begannen mit dem Besuch der Klosteranlage St. Urban bei der Kultur. Mit einem sehr kompetenten Führer, Herrn Beat Müller, konnten wir uns überzeugen, dass die Kirche sowie die Konventbauten zu den herausragendsten Zeugnissen der zisterziensischen Baukunst und Kultur in der Schweiz gehören. Als erstes betrachteten wir eine informative Tonbildschau über die Geschichte des Klosters seit der Gründung im Jahre 1194. Sie zeigte eindrücklich das Auf und Ab der Geschichte mit dem Burgrecht, dem Kirchenbrand, dem Abbruch und anschliessendem Neubau, Aufhebungsdekret und späterem Rückkauf bis zum heutigen schön restaurierten Zustand. Da die mittelalterliche Klosteranlage mit der Zeit trotz mehrfachen Umbauten und Erweiterungen den Ansprüchen der Mönche nicht mehr genügte, liess Abt Malachias Glutz vom Vorarlberger Baumeister Franz Beer von Grund auf eine neue Klosteranlage planen und von 1711 bis 1717 errichten. Das von den Gebrüdern Schmutzer ausstuckierte Gotteshaus ist eine Verbindung von barocker und zisterziensischer Baukunst. Es ist heute eines der eindrücklichsten Beispiele dieser Baukunst und Kultur in der Schweiz. Das klösterliche Leben nahm jedoch 1848 ein unerwartetes Ende: zur Tilgung der Schulden aus dem Sonderbundskrieg verfügte der Kanton Luzern die Aufhebung des Klosters.
Anschliessend starteten wir zum Rundgang. Als erstes bestaunten wir die imposante Klosterkirche mit der markanten Doppelturmfassade mit roten Kuppelhauben. Eingebunden in der Fassade sind Wappen und Inschrift des Bauherrn. Durch das grosse Tor betraten wir in eine grosse, lichtdurchflutete, weiss stukierte Hallenkirche.
Das bereits 1707 vorwiegend von Solothurner Bildhauern unter Leitung von Johann Peter Frölicher geschnitzte Chorgestühl mit der geschnitzten Bilderbibel galt schon damals als grosses künstlerisches Werk und als eine internationale Sehenswürdigkeit. Dieses herausragende Beispiel schweizerischer Barockplastik wurde dann auch in die neue Klosterkirche übernommen.
Die Barockorgel ist ein Meisterwerk, das von 1716 - 1721 vom Orgelbauer Joseph Bossard erbaut wurde. Mit 40 Registern, über 2500 Pfeifen und 3 Manualen gehört das Instrument zu den grössten noch weitgehend erhaltenen Barockorgeln Europas. Über das grösste Barocktreppenhaus der Schweiz erreichten wir die stimmungsvolle Bibliothek mit den kunstvoll geschnitzten Eichensäulen. Weiter ging es danach in den mit noblem Stuck ausgestatteten, prunkvollen Festsaal.
Nach diesem informativen und interessanten Rundgang begaben wir uns vom Kanton Luzern auf die andere Seite des Flusses Rot (Grenzfluss) in den Kanton Bern, ins Gasthaus Rössli für das Mittagessen. Wie sich herausstellte eine sehr gute Wahl. Am Nachmittag widmeten wir uns bei schönstem Wetter dem Thema Natur, und zuerst den Wässermatten. Wir fuhren dem Fluss Rot entlang nach Altbüron, wo uns Herr Markus Maag (Sekretär der Stiftung Wässermatten) für einen Spaziergang dem Kanal entlang für eine eindrückliche Demonstration des Systems empfing. Zuerst aber kurz die Erläuterung zur Entstehung und Begründung dieses Wassersystems. Die Rottaler Wässermatten zwischen Melchnau BE und Altbüron LU erstrecken sich entlang der Rot, welche die Kantonsgrenze Bern-Luzern bildet und von den Einheimischen manchmal auch liebevoll «Jordan» genannt wird. Wie alle Wässermatten im Oberaargau gehen auch sie auf das Wirken der Mönche von St. Urban zurück, welche im 13. Jahrhundert die ersten Meliorationen dieser Gegend durchführten. Die relativ unfruchtbaren, aber gut durchlässigen Schotterflächen in der natürlichen Überschwemmungslandschaft boten für die Landwirtschaft keine günstigen Voraussetzungen. Erst durch die künstliche Bewässerung mit dem schwebstoffreichen Wasser konnte allmählich eine Bodenbildung durch Kolmation erzielt werden, was das Nährstoffangebot verbesserte.
Die Rottaler Wässermatten sind besonders hübsch in die sanften Hügel der nördlichen Napfausläufer eingebettet. Zudem mäandriert die Rot auf weiten Strecken und bildet zusammen mit den Wassergräben ein stark verzweigtes Gewässernetz. Da diese meist mit Bäumen und Sträuchern bestockt sind, ergib sich ein parkähnlicher Eindruck, der im Mittelland seinesgleichen sucht.
Herr Maag setzt sich auch engagiert für die Biodiversität ein. Die Rottaler Wässermatten sind Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten. So bieten sie neben diversen Vogelarten nicht weniger als 20 Heuschreckenarten ein Refugium! Darunter sind auch sehr seltene und gefährdete Arten wie die Sumpfschrecke. Gerade im Sommer beeindrucken diese Insekten mit ihren ganz unterschiedlichen Gesängen und Geräuschen. Dazu gesellen sich die verschiedensten Gerüche einer intakten und vielfältigen Kulturlandschaft. In den Wässermatten ist das uralte Zusammenspiel von Natur, Kultur und Landwirtschaft besonders gut erkennbar.
Die Funktion der Regulierung konnte uns Herr Maag eindrücklich demonstrieren. Durch das Setzen einer "Brütsche" zeigte er uns, wie der Lauf des Wassers abgelenkt werden kann.
Die Bauern gründeten zur gemeinschaftlichen Nutzung der Bewässerungsanlagen Genossenschaften. In Kehrordnungen wurden die räumliche und zeitliche Zuteilung des Wassers sowie die Unterhaltspflichten geregelt. Zuständig für deren Durchsetzung war jeweils ein Wässerbannwart. Die Matten wurden vor allem als Heuwiesen, teilweise auch als Weiden genutzt.
Im 20. Jahrhundert, besonders nach 1950, wurde der grösste Teil der Wässermatten zu Ackerland umgebrochen oder als Bauland versiegelt. Im Langetental ging ihre Fläche von rund 700 auf 80 ha zurück. Die Interessen der Wasserversorgung (Grundwasseranreicherung) sowie der Landschaftsschutz gaben dann Anstösse zur Erhaltung eines Restbestandes von Wässermatten: Diese wurden vom Schweizerischen Bundesrat 1983 ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufgenommen. Die 1992 vom Kanton Bern gegründete Wässermattenstiftung sorgt seither für die Erhaltung dieser Kulturlandschaft und sichert die traditionelle Wiesenbewässerung, indem sie Verträge mit einzelnen Bauern abschliesst und diese für Mehraufwand und Minderertrag entschädigt.
Nach dieser Besichtigung und Demonstration wechselten wir den Standort. Gemeinsam mit Herr Maag fuhren wir nach Langenthal. Dort erfuhren wir, dass die Langete nicht nur die Wässermatten speist, sondern in der Vergangenheit in grossen Teilen der Stadt immer wieder für Überschwemmungen gesorgt hat. Obwohl bei Hochwasser die Langete grossräumig in die Wässermatten geleitet wurde, kam es in den Jahren 1663, 1664, 1733, 1762, 1781, 1816, 1852, 1888, 1904, 1910, 1931, 1940, 1962, 1972, 1975 zu katastrophalen Überschwemmungen.
Die Strassen der Innenstadt sind darum mit ihren hohen Trottoirs für diesen Zweck kanalartig angelegt. Sie wurden früher im Durchschnitt zweimal jährlich überflutet. Die Kapazität dieser Notableitung durch die Stadt ist jedoch auf 20 m3/s beschränkt, sodass max. 32 m3/s durch Langenthal fliessen konnten. Dadurch entstanden immer wieder Hochwasserschäden. Allein das Hochwasser von 1975 richtete in der Region Sachschäden von mindestens 60 Mio. Franken an.
Herbstexkursion 2017